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Nichts reden heißt rocken:

..rund 10.000 Besucher kamen nach Salzburg und sahen mit Pearl Jam eine Rockband, die ihre Ernsthaftigkeit nicht verloren hat.

Am Ende ist die Wahrheit: "rocking in the free world". Erinnerungen an den Auftritt von Neil Young mit Pearl Jam Primus Eddie Vedder an gleicher Stelle vor knapp fünf Jahren.

Die Young-Hymne ist alles erzählende Abschlußnummer: Ihr müßt jetzt anhören, dass die Welt schlecht ist und wir zwar auch keine Lösung haben, aber wir tun, was wir können, um wenigstens für immer die Freiheit zu haben, das auch sagen zu können. Die Fragen sind einfach. Antworten nicht zu finden. Oder Glaube, dass das Heil im Rock liegt, ist ungebrochen.
Die Begegnung mit Neil Young - wenn bei dieser Tour auch nur mit Songs - ist deshalb zwangsläufig. Wie er sind auch die 5 Mit-Dreißiger aus Seattle Spezialisten für letzte große Dinge. Und für die Konzentration auf die Essenz. Selten besteht die livehaftige Mitteilung einer großen Rockband so ganz und gar aus der Kraft der Musik. Pearl Jam müssen nicht warten, bis die Sonne untergegangen ist, damit die Effekte der Lichtshow nicht gestört werden. Keine Bühnenshow. Keine permanent penetrante Animation des (ohnehin ab dem ersten Takt begeisterten) Publikums. Sparsam sind die Bewegungen von Sänger Eddie Vedder. Sein Spagat vollzieht er zwischen Introvetiertheit, unscheinbar feierlichen Gesten und der Verweigerung des Rockdaseins.
"Uns wurde gesagt, es wäre vielleicht besser nicht hier zu spielen. Aber damit würden wir die Leute, die uns hören wollen, strafen", muß Vedder wenigstens eine politische Aussage machen. Um gleich darauf dem zustimmenden Gejohle mit zweifachem Fuck-Finger jede Möglichkeit zu nehmen, ihn als einen der ihren zu verschlingen. Wenn er selten kräftige Gesten zeigt, gewinnen sie durch Reduktion an Stärke. So wie der Konzertbeginn. Nicht wie ein Hurrikan brechen Pearl Jam über die Stadt.
Sometimes ist zurückhaltend und relativiert mit der vorletzten Textzeile die angebliche Wichtigkeit des Tuns: "sometimes i speak of nothing at all". Aber nicht die Poesie der Textzeilen, sondern die fesselnde Emotion des Gesamtwerks schaffen einen außergewöhnlichen Auftritt. Vedder (Gesang), Stone Gossard, Mike McCready (beide Gitarre), Jeff Ament (Bass) und Matt Cameron (Drums) können nämlich auch voll losdreschen. Brachial hämmern und heftig rocken nach dem leisen Beginn die Akkorde von Breakerfall, Grievance, Corduroy, God's Dice und State of Love and Trust und später die von Lukin, Daughter, NOt for You, GO, Reaviewmirror oder Do the Evolution in die laue Sommernacht. Ganz so, als sollten die Instrumente hier zum letzten mal sprechen. Jetzt gilt: Was gestern war, haben wir zwar nicht vergessen, aber wir schauen nicht zurück.. Morgen kommt.
Vielleicht.

Ebenso schaffen sie auf der Bühne aber auch, was bei den meisten Bands (wenn es ihn noch gibt) Alternative Rock nicht einmal auf Studioproduktionen existent ist: feinsinnige, filigrane Zwischentöne (etwa Nothing as it seems, Light Years, Better Man, Small Town, Thin Air...) und manchmal ganz und gar zerbrechliche Stille (Present Tense, Wishlist...). Die Post-Grunge-Kombination aus Wut und Wucht, Trauer und schwerer Trägheit ist differenzierter geworden, nachdenklicher. Hymnen der Frühzeit (Once, Alive, Even Flow) sind an gesteigerter Publikumsreaktion erkennbar. Die Band misst ihnen aber keine Sonderstellung zu. Verklärung, noch dazu der allzu oft fehlinterpretierten Vergangenheit, ist ihnen ein Greuel. "Makes much more sense to live in the present tense", singt Eddie Vedder. Die Band schafft alle Übergänge spielend aber ohne festgelegte Songabfolge. Das alles wäre aber nur eine gewöhnliche, wenn auch längst unverkennbar eigenständige Mischung aus melodiösem Hardrock in der Art von Deep Purple oder Led Zeppelin, Balladen mit herbem Charme in R.E.M.-Stil und flirrenden, weiten Gitarren wie bei Pink Floyd, stünde da nicht Eddie Vedder.

Riesig wird sein Schatten auf die barocken Fassaden geworfen. Bedrohlich. Und für ein paar Augenblicke bekommt der Rock `n` Roll mitten in der feindlichen Umgebung von erdrückender Kirchengeschichte und praller Barockstadtarchitektur seine subversive Kraft, seinen rebellischen Charakter zurück. Sein traumartiger Gesang kriecht in Seelen und Körper. Vedder kaut die Songs, wispert und schreit, brummt und klagt, mahlt sie zwischen seinen Zähnen, scheint sie - einmal von Ekel, einmal voller Liebe- noch einmal vor Augen zu halten, um sie schließlich ein letztes mal Hinzuspucken.
Wo einst Widerstand und Verweigerung die Schutzwälle gegen Verwundbarkeit waren, geben Pearl Jam mittlerweile auch der Ironie Platz. Wenn Vedder in der Original-Textzeile "i wish i was as fortunate as fortunate as me" (aus: Wishlist) das zweite "me" gegen ein mit ausgebreiteten Armen über den Residenzplatz gehauchtes "you" tauscht, ist von Selbstzweifeln scheinbar keine Rede mehr. Hier wird in einer von oktroyierten Strategien der Musikindustrie fast befreiten Pearl-Jam-Welt gerockt.

Es ist eine kleine Welt, eine freie und deshalb umjubelte. Ein Schöner Glaube.

Salzburger Nachrichten
20. Juni 2000
Bernhard Flieher
thx to Hans Pockberger