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Brave Old World

Nach Jahren der musikalischen Orientierung bringen die Anführer der letzten großen Rockrevolution nun das Werk "Riot Act", das von all ihren vergangenen Alben am meisten nach "Ten" klingt. Ein Erlebnisbericht aus Pearl Jams Loft in Seattle, der Keimzelle des Grunge - mit dem Gitarristengespann Gossard/McCready und ihm: Eddie Vedder.

In Seattle ist die Welt nicht mehr in Ordnung. Kaum etwas erinnert noch an die Zeiten, als latent desorientierte "Singles" durch den gleichnamigen Film sinnsuchten, das Karohemd als ultimative Style-Beweis galt und in jeder Spelunke mit Stromanschluss eine heiße Grunge-Band zum Mattenschütteln aufspielte. Heute ist die Stadt sehr relaxed, aufgeräumt und beseelt durch eine wundersame und allgegenwärtige Mischung aus arm und reich. Schwarz beanzugte Hi-Tech-Gewinner tragen ihre Lederköfferchen spazieren, während an bald jeder Straßenecke ein halbes Dutzend erschreckend junger Obdachlose über vergangenen Glanz palavern. "Die Hälfte von uns war noch vor einem Jahr ein Vollzeitbeschäftigter, hoffnungsvoller Programmierer mit Haus, Auto und einem Monatseinkommen von 5.000.- Dollar", erzählt einer. Dann: Dot-Com-Crash, Massenentlassungen, sozialer Absturz im Zeitraffer. Und nun lebt man von der Hand in den Mund, dem mediteranen Klima und dem inständigen Hoffen auf bessere Zeiten. Und die Musik? Ist auch nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die Clubs haben gleich reihenweise geschlossen, die örtliche "Tower Records"-Filiale befindet sich in einem abbruchreifen Flachbau weit außerhalb der Innenstadt, und selbst bei "Sub Pop", dem Mekka aller Grunge-Jünger, muss man nach Soundgardens "Badmotorfinger" in den hintersten Reihen der Second Hand-CDs stöbern. Kein guter Ort für Rockmusik-Romantik. In memoriam Kurt Cobain. Auf Wiedersehen Layne Staley.

Indes: Pearl Jam, die einzigen verbliebenen Dinosaurier aus der großen Ära der letzten Rock-Revolution, sind ihrer Heimat treu geblieben. Alle fünf wohnen, leben und lieben hier, manche weit außerhalb im Grünen, andere direkt im Zentrum aus mittelprächtigen Shopping-Malls und unzähligen Straßenzügen mit lustigen Vintage-Stores und grellbunten Tattoo-Shops. Hippies in lächerlichen Batik-Kostümen führen kleine Kunststückchen vor, an der Ecke steht ein farbiger Jazz-Saxophonist, und das silbern und blau verkleidete EMP, das "Experience Music Project", glitzert in der herbstlichen Nachmittagssonne als Beleg für vergangene Hochzeiten moderner Musikgeschichte. Immerhin: Hier scheint der Geist der Subkultur noch seinen flachen Atem auszustoßen. Etwas außerhalb, am Fuße des Washington Lakes, in einem Karree aus flachen Mehrzweckbauten und schmucklosen Klinkerhäusern, liegt das Epizentrum Pearl Jam'schen Gitarrenrock-Genialistentums. Eine liebevoll zum Loft umgebaute Lagerhalle voller warmer Lichtquellen und verschiebbarer Raumteiler aus roten Samtvorhängen, an den Wänden meterhohe Regale voller Gitarren, Amps, Mischpulte und Drumkits, am Kopfende eine offene Küche und in der Mitte das in einem Kreis aufgebaute aktuelle Rehearsal-Equipment, mit dem auch ein Großteil des Mitte November erscheinenden siebten Albums eingespielt wurde.

Die neue Platte ist Pearl Jams bestes Werk seit einer sehr langen Zeit, vielleicht sogar das beste seit dem Debüt "Ten". Denn anders als die letzten Langspieler setzt es nicht auf krampfhafte Erneuerung oder unnötige Soundspielereien, sondern bietet zeitgemäße, hervorragend komponierte und stimmungsvoll in Szene gesetzte Rockmusik der authentischsten, ehrlichsten und unverfälschtesten Sorte. Wie befreit scheint die Band von äußerem Druck, eigenen Ansprüchen und fehlgeleiteten Verkaufserwartungen. Das wurde auch höchste Zeit, denn vor allem letztere, die Verkäufe, versanken mit penetranter Konsequenz in der Bedeutungslosigkeit wie die Aktienwerte am kränkelnden Nasdaq-Index: Wurden von "Ten", das selbst heute noch ein paar Tausend mal pro Monat einen neuen Freund für's Leben findet, noch an die neun Millionen Einheiten abgesetzt, so fand das letzte Studioalbum "Binaural" nicht einmal ein Zehntel der Abnehmer - erstmals in der Geschichte der Band blieben die Verkäufe einer Platte weit unter der Eine-Million-Grenze. Erschreckend einerseits, aber eben auch befreiend, andererseits. Wer nichts mehr zu verlieren hat, der findet oft das optimale Rezept für eine Rundum-Erneuerung.

Von Erneuerung erzählt auch "Riot Act". Eine Platte wie aus einem Guss, mit wenig technischen Spielereien und dafür umso mehr bemerkenswert dichtem, unkompliziertem und maximal unverfälschtem Songmaterial. Ein Großteil der Songs haben wieder die alte Klasse, sind absolut unwiderstehlich und unglaublich schlüssig. Lediglich drei bis vier Songs können diese Klasse nicht ganz halten - und doch sind sie wichtig, denn auch auf der textlichen Ebene bietet "Riot Act" die dynamischsten und zwingendsten Pearl Jam seit einer langen Zeit. Der einigermaßen martialische Titel verdeutlicht es schon: Es werden heiße Eisen angepackt. Es geht um Bush, Irak, den 11. September, das falsche Selbstverständnis der Weltpolitik Amerika. Aber auch um eigene Befindlichkeiten, um Persönliches, Biografisches und Fehler, die man gemacht hat. Kurzum: Wer Pearl Jam in den letzten Jahren aus den Augen verloren hat, sollte ihnen eine neue Chance geben. Die Platte hat es auf jeden Fall verdient.

Es geht los. Man führt mich zu einer gemütlichen Sitzgruppe, in der bereits zwei ausgesprochen relaxt wirkende Herren auf mich warten: Stone Gossard und Mike McCready. Mike, der inzwischen aussieht wie der jüngere Bruder von Schauspieler Martin Sheen, versucht mittels Strähnchen und wild hochgegeltem Haarschopf darüber hinweg zu täuschen, dass der Zahn der Zeit an der Dichte seines Haupthaares nagt, während Stone wirkt wie der Inbegriff des coolen Surfers: Badeschlappen, abgewetzte Jeans, halb offenes Hawaiihemd und eine blau getönte Sonnenbrille auf der Nase. So sehen sie also aus, die beiden Gitarristen, die ganze Armeen junger Klampfer beeinflusst haben dürften: Locker, lässig, immer ein Lächeln auf den Lippen. Da drängt sich förmlich die Frage auf:

Seid ihr heutzutage überhaupt noch aufgeregt, wenn ihr eine neue Platte heraus bringt?
Mike: Ja, sicher. Wie kann so etwas nicht aufregend sein? Es ist immer wieder eine Herausforderung zu sehen, wie die Leute draußen auf etwas reagieren, das wir in monatelanger Kleinarbeit zusammengebaut haben. Mal ist die Reaktion gut, wie bei "Ten", mal seht sie nach hinten los, wie bei "Binaural": Aber grundsätzlich ist es jedes Mal auf's Neue spannend.

Und doch möchte ich annehmen, dass die Aufregung damals, als ihr euer Debüt "Ten" veröffentlicht habt, eine andere war als die, die ihr heute als millionenschwere Superstars verspürt.
Stone: Nein, nicht wirklich. Es ist immer wieder die gleiche innere Spannung, die man verspürt. "Ten war für die meisten von uns ja auch nicht das erste Album, es war eben nur das erste mit dieser Band. Ich hatte zum Beispiel schon bei einigen Alben mitgewirkt und mich daran gewöhnt, dass diese Platten entweder überhaupt nicht erscheinen, oder wenn, dass sie nur einen sehr überschaubaren Kreis von Menschen interessieren würden. Erwartungshaltungen hatten wir an "Ten" jedenfalls keine. Heute ist das immer noch dasselbe. Man kann einfach nie davon ausgehen, dass Menschen eine Platte, die man liebt und in die man sehr viel Herzblut gesteckt hat, genauso gern haben wie man selbst. Meine Aufregung bezieht sich insofern auch weniger auf die Reaktionen der Hörer, sondern ist hausgemacht. So nach dem Motto: Endlich ist sie da. Ich kann sie in Händen halten und so oft auflegen wie ich will.
Mike: Und dann gibt es noch eine andere Vorfreude: Wenn das Album veröffentlich ist, bedeutet das, dass wir wieder auf Tour gehen. Darauf habe ich immer wieder auf's neue Lust.
Stone: Und es bedeutet, dass die ganze leidige Promotion-Arbeit und die Interviews hinter uns liegen...

Das neue Album klingt für mich wie die optimale Kombination aus spontanen Momenten und wohlüberlegten Ambitionen.
Stone: Yeah, das ist für mich die perfekte Charakterisierung! Du hast die Platte verstanden.

Was kann man noch über eure Ambitionen in Bezug auf das neue Album sagen?
Stone: Wir haben uns bemüht, zwei Dinge ganz besonders in den Vordergrund zu stellen: Variabilität im Songwriting, doch gleichzeitig größtmögliche Konzentration auf unsere Stärken. Aber im Prinzip hast du es schon absolut auf den Punkt gebracht: Wir wollten straighte, unbemühte, gerade heraus rockende Musik kombinieren mit wohl überlegten Lyrics und Arragements. Eben das, was wir wohl am besten können.

Selbst die Gitarrenarbeit scheint dieser Maxime zu folgen. Auf mich macht sie den Eindruck dass die Ehrlichkeit und Direktheit der Gitarren in direktem Kontrast zu den aufwendigen Quadrophonie-Exkursionen auf dem Vorgänger "Binaural" stehen. Also: Keine Experimente, einfach purer Sound.
Stone: Auch das stimmt absolut. Nicht, dass wir "Binaural" schlecht finden würden - es hat eine Menge Spaß gemacht, einmal die technischen Möglichkeiten eines Gitarrensounds bis in die letzte Nuance auszuchecken. Aber hier ging es wirklich wieder um einen möglichst authentischen, klaren und drückenden Sound, ohne unnötige Spielereien. Uns hat die Frage interessiert: Wie viel Intensität und Variabilität kann man mit den einfachsten Mitteln erzeugen?

Trifft das auch auf's verwendete Equipment zu?
Stone: Ja, absolut. Mike und ich haben uns dieses Mal extrem auf die Basis konzentriert. Ein Großteil des Albums wurde mit ein und demselben Equipment eingespielt, das heutzutage jeder zweite Gitarrist benutzt. Strat, Les Paul, Marschall-Türme, Vox-Amps und ein oder zwei Pedale - das war's. Lediglich in einigen wenigen Songs experimentieren wir ein bisschen, haben mal ein Delay benutzt oder die Gitarre durch ein Effekt-Rack laufen lassen.

Hat sich der Ansatz beim Songwriting über die Jahre verändert?
Mike: Definitiv. Wir sind heute mehr denn je ein Songwriting-Kollektiv. In früheren Tagen kam ein Großteil der Ideen von Stone, wir haben dann nur noch unseren Senf zu den meist schon fertigen Songs abgegeben. In der Zwischenzeit hat Eddie sehr gut Gitarre spielen gelernt, er schreibt ganz andere Songs als Stone und hat auf dieser platte mehr denn je zum Songwriting beigesteuert. Auch ich habe meinen Teil dazu beitragen können, und nicht zuletzt Matt (Cameron, drums), allein schon deshalb, weil er sich sonst langweilen würde. Auch er ist ein außergewöhnlicher Songschreiber, dessen Ansätze und Ideen sich ebenfalls komplett von den anderen unterscheiden. Lediglich Jeff ist zufrieden damit, ein sehr guter Bassist zu sein und ein paar kleine ideelle Stubser in die richtige Richtung zu geben, doch ansonsten hebt er sich seine Song-Ideen für seine Band Three Fish auf.

Mir ist noch aufgefallen: Die Platte repräsentiert sehr viel mehr als alle eure letzten Releases die Ideale, die Pearl Jam immer auszeichneten: Melancholie, Groove, Emotionen und Intelligenz. Habe ich was vergessen?
Mike: Humor.
Stone: Das und etwas, für das ich keinen konkreten Begriff benennen kann. Es ist dieser subtile Straight Forward-Vibe, die Dinge einfach laufen zu lassen. Einfach eine Band zu sein, die sich locker macht und nicht den Wunsch verspürt, das Rad der Musik neu erfinden zu müssen.

Um jetzt mal etwas provokant zu fragen: Wo ist da die künstlerische Herausforderung? Das Geld kann es ja nicht sein...
Stone: Die ist definitiv da. Es geht nicht ums Geld verdienen - es ist ohnehin nicht gerade einfach, mit Musik wie der unseren Millionen von Platten zu verkaufen, und ich glaube, es wäre auch der falsche Ansatz, über Geld und Verkäuflichkeit nachzudenken, während du Songs schreibst. Ich denke, wir sind einfach alle getrieben von dem Wunsch, großartige Songs zu fabrizieren, die trotz klanglicher Konventionalität etwas Besonderes haben, dem Hörer etwas mit auf den Weg geben. Das ist unsere Motivation.

Time's up, die Promoterin steht im Raum und bittet mich höflich, aber bestimmt zum kalten Buffet mit kleinen köstlichen Leckereien. Langsam werde ich etwas hibbelig, denn als nächstes wartet Eddie Vedder, Mr. Charisma himself. Man führt mich in einen eigens für ihn in das Loft eingebaute Raum, seiner kleinen Kreativzelle mit schwerem Ledersofa, diffusem Licht und unzähligen bunten Tüchern, die die Wände verhängen. Dort sitzt er, kurze Haare, eine American Spirit im Mundwinkel, und tippt auf einer uralten Schreibmaschine die Lyrics zum kommenden Album ab. Oder sind es Gedichte? Man weis es nicht, ich vergesse zu fragen. Denn ich muss ehrlich zugeben: "Hallo Eddie, ich bin so nervös wie schon lange nicht mehr." Er erhebt sich (meine Güte, ist er klein. Einssiebzig vielleicht? Höchstens.), lächelt entwaffnend und sagt: "Ich wünschte, ich könnte von mir das Gleiche sagen, damit du dich wohler fühlst..." Ein Satz, und alles ist entspannt. Ja, der Mann hat das, was man gemeinhin Aura nennt. Auf eine unerklärliche Weise strahlt er, ist unglaublich präsent - selbst dann, wenn er, wie in den folgenden Minuten, immer wieder die Augen schließt und die Stirn in Falten wirft, um sich und seine Gedanken zu sammeln.

Wie fühlt sich für dich heutzutage der Umstand an, dass du der Sänger einer der wichtigsten amerikanischen Rockbands bist? Ist daran noch etwas Aufregendes? Eddie: Ehrlich gesagt: Nein. Es ist Normalzustand geworden. Aufregung verspürte ich mit dieser Band nur noch in den Momenten, wenn etwas Neues entsteht. Alles, was sich daran anschließt - promotion, Plattenveröffentlichungen, Tourneen - hat kaum noch etwas Aufregendes an sich. Nicht, dass ich das nicht zu schätzen wüsste, es ist nur eben ein Job geworden wie jeder andere. Doch ich mag meinen Job. Das aufregendste Jahr, das ich im letzten Jahrzehnt hatte, war das zurück liegende. Nach zehn Jahren ununterbrochener Arbeit, nach dem Roskilde-Trauma und all den Dingen, die um uns herum passiert sind, haben wir uns zum ersten mal in unserer Geschichte eine echte Auszeit gegönnt. Das war spannend, denn ich hatte zum ersten Mal wieder Zeit, andere Dinge zu tun, zu reisen. Menschen zu treffen, einfach: zu leben.

Was ist das Besondere an Pearl Jam 2002?
Eddie: Die Stimmung, unser Vibe. Es ist dieses unerklärliche, fast blinde Verständnis, eine im tiefsten Sinne des Wortes eingeschworene Gemeinschaft. Wir verstehen uns, ohne überhaupt miteinander kommunizieren zu müssen. Ich weiß noch: Ich schrieb "Light Years", einen Song für das neue Album, an einem Mittwoch, und am Donnerstag Nachmittag hatten wir ihn schon nahezu komplett eingespielt. Wir haben nicht darüber geredet, wir haben ihn kaum geprobt, das Verständnis für das Wesentliche des Songs war einfach da. Sie alle haben, ohne dass ich ein Wort darüber hätte verlieren müssen, exakt das Richtige getan, um die Atmosphäre des Songs und die Bedeutung der Lyrics auf ein maximales Niveau zu heben. Ich glaube, ich habe mich an diesem Tag sechzig, siebzig Mal bei allen dafür bedankt, dass sie verstehen, worum es mir geht und was wichtig ist. So etwas ist nicht nur selten, sondern ziemlich einmalig.

Der Umstand, dass wir heute hier zusammen sitzen, scheint mir eine Folge dessen zu sein, dass du dich gegenüber den Massenmedien und mit dem Interesse an deiner Person arrangiert hast. Es gibt da ein Zitat von dir aus früheren Tagen: "Um sich öffnen zu können, muss man Wände um sich herum aufbauen, sonst zerbricht man." Inzwischen scheinst du einen Teil dieser Wände wieder eingerissen zu haben. Wie gehst du damit um, seit nunmehr einem Jahrzehnt Sprachrohr und Idol für junge Menschen zu sein?
Eddie: Eines hilft mir ungemein: Ich sehe mich selber nicht in dieser Position. Früher war das anders, da habe ich mich viel zu sehr damit beschäftigt, wie andere mich sehen, was man über mich schreibt, denkt und äußert. Inzwischen siehe ich mich einfach so, wie ich bin: Ein Typ, der vor seiner Schreibmaschine sitzt, neben sich eine Gitarre, um sich herum ein paar Menschen, die ihn so lieben, wie er ist. Ich würde nicht sagen, dass ich inzwischen ein besseres, in sich selbst ruhendes Individuum bin. Glaub' mir, ich denke nach wie vor jeden Tag darüber nach, ob ich imstande bin, aus meinem Leben etwas Vernünftiges, Sinnvolles und Bleibendes zu machen. Sicher, einige meiner Träume sind wahr geworden, aber auch einige der schlimmsten Alpträume. Kurz: Ich bin auf dem Weg. Ich habe mein leben an einem bestimmten, sehr interessanten Punkt angefangen und befinde mich nun auf dem Weg zu einem vollkommen anderen interessanten Punkt. All die Gefühle und Gedanken, die ich über meine Musik oder hier in diesem Interview äußere, sind nichts Anderes als die Ausdrucksform meines ganz persönlichen Individuums. Man kann sich daran stoßen, man kann es mögen - ich kann das nicht ändern.

Um es mit The Who zu sagen: "How many friends have I really got?"
Eddie: Ja, ganz genau! Es ist zwar schon fast 20 Jahre her, dass ich mich auf diesen Song bezogen habe, aber du hast Recht: Darum geht es, das ist der Punkt, der mich selbst heuto noch fortwährend beschäftigt. Und das macht die Chemie von Pearl Jam aus: Wir entfernen uns nicht voneinander, im Gegenteil: Wir rücken immer dichter zusammen, verstehen einander von Jahr zu Jahr besser. Und das ist, um auf deine Frage zurück zu kommen, auch der Schlüssel zu sich selbst und seinem eigenen Ich: Nicht du selbst bist in der Lage, Herr deines eigenen Geistes zu werden und mit ihm zu leben. Es geschieht vielmehr über die Reflexion deines Ichs in Zusammenarbeit mit deinen wirklichen Freunden. Sie sagen dir, ob du Scheiße baust oder etwas richtig machst, sie bringen dich auf den richtigen Weg. Das zu erkennen, war einer der Schlüsselmomente meines ganzen Lebens. Wenn du versuchst, dich selber zu verstehen, drehst du dich im Kreis und wirst am Ende verrückt. Und doch gibt es immer wieder Situationen, die selbst deine besten Freunde nicht verstehen. Das sind die Momente, wo es kritisch wird, denn dann bist du ganz alleine. Es gibt kein schlimmeres Gefühl, als sich isoliert zu fühlen mit einem Problem. Ich kenne das nur zu gut.

Ist es für sich heute einfacher als früher, mit deinem Ego zu tanzen?
Eddie: Zumindest ist es nicht mehr mein Ego, das den Tanz führt. Heute führe ich. Die Musik ist romantischer und schöner geworden. Auch wenn die Band von Zeit zu Zeit noch immer mal wieder den Takt verliert. Immerhin: Ich beherrsche nun alle Tanzschritte und Drehungen.

Zum Abschluss eine Gossip-Frage. Auf einem Konzert in Berlin 1996 sagtest du: "I am a Doughnut". Da würde mich interessieren: Welche Glasur hast du?
Eddie (lacht): Keine. Ganz pur.

<small>Verfasser: Sascha Krüger
Zeitschrift Guitar November 2002
thx to Andrea</small>